Fokus
Der Kindergarten wirkt ein Leben lang
Unterschiede in der frühkindlichen Entwicklung können sich jahrelang auswirken. Ein moderner Kindergarten, der Kinder mit gutausgebildeten Lehrpersonen individuell fördert, kann dem entgegenwirken und bietet der Gesellschaft grosse Chancen.
Vor 150 Jahren wurde das erste Kindergärtnerinnenseminar im Kanton St.Gallen eröffnet. Vieles hat sich seither verändert und es zeichnet sich immer deutlicher ab, welche Bedeutung der Institution Kindergarten zukommt. Denn: «Was in der frühen Kindheit verpasst wird, kann nur schwer oder gar nicht mehr aufgeholt werden», wie Rektor Prof. Dr. Horst Biedermann am diesjährigen PHSG-Hochschultag feststellte. Wenn es gelingt, Kinder nach ihren individuellen Bedürfnissen und Notwendigkeiten zu unterstützen, eröffnen sich ihnen ganz andere Voraussetzungen für ihre Lebensentwürfe, was nicht zuletzt die Befunde der PISA-Studien zeigen.
Institutionalisierte Bildungsangebote ab dem frühen Kindesalter leisten einen grossen Beitrag zur Chancengerechtigkeit, da sie zur gesellschaftlichen Integration von Kindern mitsamt ihren Familien beitragen.
Gerade der Kindergarten bietet Kindern einen ersten institutionalisierten Erfahrungsraum, einen geschützten Lern-, Gestaltungs- und Experimentierort, wo sie vielfältige kulturelle Möglichkeiten und unterschiedliche zwischenmenschliche Beziehungen erleben können, damit ein friedliches Miteinander aufgebaut werden kann.
Qualitativ hochstehende und bedingungslos zugängliche Bildung in der frühen Kindheit hat nicht nur einen positiven Effekt auf die soziale, kognitive und emotionale Entwicklung von Kindern, sondern steht auch in einem engen Zusammenhang mit besseren Chancen im weiteren Lebensverlauf. Heute ist bekannt, dass sich Kinder in dieser Entwicklung schon sehr früh unterscheiden und diese Unterschiede mit steigender kultureller, sprachlicher und demografischer Vielfalt weiter zunehmen können. Bleiben diese Unterschiede unbeachtet, können sie zu Benachteiligungen führen, die Kinder über ihre gesamte Bildungslaufbahn mit sich tragen. Ein standardisiertes Bildungsangebot reicht daher nicht aus, um allen Kindern die Förderung anzubieten, die ihnen zusteht und ihnen die bestmögliche Vorbereitung auf das zukünftige Leben ermöglicht.
Der Kindergarten hat somit zum einen das Ziel, die Benachteiligungen von Kindern durch gute, individualisierte, barrierefreie und inklusive Bildung zu minimieren und ihnen dadurch gerechte Bedingungen zu ermöglichen. Das zweite Ziel des Kindergartens liegt in der Sicherung der sozialen und ökonomischen Wohlfahrt der Gesellschaft. Eine frühe Förderung ab der Geburt und später auch im Kindergarten bringt bei bildungsbenachteiligten Kindern auch diesbezüglich starke Effekte, denn die zentralen Fähigkeiten und Kapazitäten zur erfolgreichen Fortsetzung des Bildungs- und Berufswegs werden zu einem beachtlichen Teil in den ersten Lebensjahren definiert. Bildungsangebote zu diesem Zeitpunkt sind deshalb multiperspektivisch besonders ertragreich und wichtig.
«Unsere Aufgabe ist es also, den Kindern einen Kindergarten anzubieten, der sie als handlungsfähige Subjekte in ihre Bezugsgruppe integriert, ihre Bedürfnisse und Interessen berücksichtigt und schützt und Vielfalt auf allen Ebenen fördert», sagt Horst Biedermann: Einen Kindergarten, der es den Kindern ermöglicht auch immer wieder selbstbestimmt ihre Wünsche und Vorstellungen herzustellen. Und einen Kindergarten, der sich als Experimentierfeld für praktische Veränderungen begreift und innovative Methoden einsetzt, um Zukunft nicht nur zu antizipieren, sondern auch aktiv zu gestalten.
Damit leisten gutausgebildete Fachkräfte im Kindergarten einen nicht hoch genug zu schätzenden Beitrag zur individuellen Entwicklungsbegleitung der Kinder. Für die Vorbereitung und Begleitung dieser Fachpersonen zeichnen sich die Pädagogischen Hochschulen verantwortlich, welche hierfür qualitativ hochstehende, evidenzbasierte Aus- und Weiterbildungen anzubieten haben.
Das Bewusstsein für die «Doppelaufgabe», das Kind individuell zu erziehen, aber auch in die Gemeinschaft einzugliedern, war schon im Ausbildungslehrplan von 1976 verankert, wie Prof. Ruth Lehner in ihrem Vortrag im Rahmen des Hochschultags darlegte.
Der Kindergarten hat sich verändert. Von einer Betreuungsinstitution ganz zu Beginn zu einer Bildungsinstitution, die viele Inhalte vermittelt und nun im Zyklus I der Volksschule beheimatet ist.
Heute begleite der Kindergarten die Kinder in ihrer Vielfalt, fördere sie professionell in ihrem Spiel- und Lernprozess und ermögliche es ihnen, sich im «so tun als ob» auf ihre Zukunft vorzubereiten, sagte Ruth Lehner. Er entwickle sich stetig weiter und halte so den Pioniergeist der Gründungsgeneration am Leben; durch eine fundierte Ausbildung und durch mutige Lehrpersonen.
Diese Lehrpersonen auszubilden und zu ihrer wichtigen Aufgabe zu befähigen, ist eine bedeutende Aufgabe der Pädagogischen Hochschule St.Gallen. Sie leistet damit einen Beitrag, Kindern – unabhängig von ihrer Biografie – gute Startvoraussetzungen zu schaffen für eine erfolgreiche schulische, berufliche und gesellschaftliche Laufbahn.