Fokus 2021
Schulen digital fit machen
Die digitale Transformation verändert unser Leben und unser Arbeiten grundlegend – und sie stellt auch die Schulen vor die grosse Herausforderung, wie kommende Generationen optimal auf die neue Berufswelt vorbereitet werden.
Welche Fähigkeiten soll ein Kind künftig haben, damit es sich in 30 Jahren im Leben zurechtfindet? Und wie sollen diese Fertigkeiten vermittelt werden? In Zeiten der rasant voranschreitenden Digitalisierung sehen sich die Bildungsinstitutionen immer häufiger mit solchen und ähnlichen Fragen konfrontiert. Auch die PHSG. Am Hochschultag im November 2021 war die digitale Transformation in der Bildung denn auch das Schwerpunktthema. Eine Konsequenz aus diesen Fragen ist die IT-Bildungsoffensive des Kantons St. Gallen. Am Hochschultag wurden unter anderem die Leitinitiativen des Schwerpunkts 1 vorgestellt, welche die PHSG als Leadorganisation umsetzt. Damit unterstützt sie die Volksschule und die Mittelschulen bei der digitalen Transformation.
Die Hochschule lehrt und forscht seit Jahren in diesem Bereich, und das auf den verschiedensten Stufen – von der Frühen Bildung und der Volksschule über die Weiter- und die Berufsbildung bis hin zur Lehre. Mit ihrer ausgewiesenen Expertise ist die PHSG ein wichtiger Grundpfeiler der digitalen Transformation in Schule und Bildung im Kanton. Die folgenden Statements von PHSG-Verantwortlichen geben einen Überblick über den Stand der aktuellen Entwicklungen. Zudem beleuchten zwei Experten das Thema aus externer Sicht und bieten dabei auch eine spannende internationale Perspektive.
Für PHSG-Rektor Horst Biedermann wird es künftig noch wichtiger, dass die Menschen lernen, komplexe Probleme selbstorganisiert zu lösen und sich eigenverantwortlich weiterzuentwickeln. «Analoge und digitale Realisierungen gilt es dabei dermassen zu nutzen und aufeinander abzustimmen, dass sie höchsten Qualitäts- und Wirksamkeitsansprüchen entsprechen können.»
Angesichts der rasanten und fortdauernden technologischen Entwicklungen und der damit verbundenen zunehmenden Computerisierung unserer Lebens- und Arbeitswelt stellt sich die Frage, wie kommende Generationen auf ein Erwachsenenleben in einer noch wenig voraussehbaren Zukunft vorbereitet werden können. Bedeutsam wird sein, dass Personen zunehmend fähig sein werden, komplexe Probleme in gemeinschaftsorientierter Verantwortung selbstorganisiert zu lösen und sich den wandelnden Ansprüchen entsprechend eigenverantwortlich weiterzuentwickeln. Die hierfür benötigten Fähigkeiten werden unter dem Schlagwort Future Skills zusammengefasst, wozu eine fundierte Digitalkompetenz gehört, aber auch Fähigkeiten wie Innovationskompetenz, Kooperationskompetenz, Lernkompetenz, Initiativ- und Leistungskompetenz, Ambiguitätskompetenz, Ethische Kompetenz und Sensemaking. Digitale Transformation bedeutet somit, Lehr-Lernarrangements zunehmend in enger Verschränkung von fachlichen, transformativen, personalen und digitalen Kompetenzen zu konkretisieren. Analoge und digitale Realisierungen gilt es dermassen zu nutzen und aufeinander abzustimmen, dass sie höchsten Qualitäts- und Wirksamkeitsansprüchen entsprechen können. Damit eine derartige Lehr-Lernkultur entstehen kann, bedarf es der Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses, dass Dynamiken als Potential zur eigenen und institutionellen Weiterentwicklung wahrgenommen werden und Agilität gelebt wird, wodurch gegebener Freiraum zur mutigen Gestaltung des eigenen Verantwortungsbereichs in guter Zusammenarbeit zwischen den Expertinnen und Experten genutzt wird. Eine Entwicklung, wie wir sie an der PHSG vorantreiben.
Vor rund einem halben Jahrhundert sind computerbegeisterte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für die Datenanalyse mit Pioniergeist und Schuhkartons voller Lochkarten in die Rechenzentren ihrer Hochschulen gepilgert. Kaum jemand dürfte damals erahnt haben, wie stark die Digitalisierung die Forschungspraxis verändern würde. Obschon auch heute Prognosen schwierig sind, sollen vier Themenfelder benannt werden, welche die nächsten Jahre prägen dürften.
(1) Digitale Transformation als Forschungsgegenstand
Forschung soll dazu beitragen, Herausforderungen, Chancen und Risiken der Digitalisierung für die Schule und Bildung zu erkennen, besser zu verstehen und Handlungswissen zur Verfügung zu stellen, um daraus erfolgreiche Strategien für die Weiterentwicklung des Bildungswesens abzuleiten und negative Auswirkungen zu reduzieren.
(2) Impact auf die Bildungspraxis durch digitale Tools
Meist erfolgt der Transfer von Erkenntnissen aus der Forschung in die pädagogische Praxis nicht direkt, sondern wird über die Entwicklung von Bildungsangeboten oder digitalen Tools, z.B. Lern-Apps, digitale Lehrmittel, Learning Analytics oder Lernfördersysteme, vermittelt.
(3) Nutzung digitaler Möglichkeiten im Forschungsprozess
Die Digitalisierung eröffnet bezüglich Datengewinnung (z.B. computerbasierte Erhebungsverfahren, Videostudien, Eye-Tracking oder adaptive Tests) und Datenanalysen (z.B. komplexe statistische Verfahren, Data-Mining oder Big Data) eine Vielzahl neuer Möglichkeiten und vereinfacht die internationale Zusammenarbeit.
(4) Neue Möglichkeiten des Wissensaustauschs
Eine gute digitale Infrastruktur ist Voraussetzung für eine freie und offene Wissenschaftskultur im Sinne von Open Science. Diese hat zum Ziel, wissenschaftliche Leistungen wie Methoden, Daten oder Publikationen öffentlich zugänglich zu machen. Über neue Formate der Wissenschaftskommunikation, z.B. Podcasts oder Social-Media-Kanäle, kann sich die interessierte Öffentlichkeit über aktuelle Erkenntnisse aus der Wissenschaft informieren.
Digitale Bildung für die ganz jungen Kinder bedeutet nicht, dass die Kinder in Kita und Kindergarten lange vor den Bildschirmen sitzen. Im Gegenteil.
Die zentralen Kompetenzen für die digitale Transformation sind Kreativität, Kommunikation, Kooperation, kritisches Denken und Problemlösen. Um die Chancen der Digitalisierung zu nutzen, müssen neue, kreative Ideen gemeinsam entwickelt werden. Dies lernen die jungen Kinder am besten im Spiel. Unser Projekt «Wir spielen die Zukunft» bringt das Thema der digitalen Transformation in den Kindergarten, jedoch ohne piepende Apps, fesselnde Videos oder mühsame Codierung. Auf der Basis des freien Rollenspiels, des So-tun-als-ob, eignen sich die Kinder die zentralen Kompetenzen an. In den Kindergärten wurde hierfür zwischen Bau- und Familienecke das «ICT Center» eingerichtet – mit gebastelten Tablets und ausrangierten Laptops. Die Kinder spielen den Beruf der IT-Spezialistin oder des IT-Spezialisten und tun so, als ob sie Roboter programmieren, Smart Homes einrichten oder Apps entwickeln würden.
Was bedeutet digitale Bildung in der frühen Kindheit? Um dies herauszufinden, arbeiten wir mit weiteren Expertinnen und Experten zusammen und entwickeln gemeinsam «Erfahrungsbereiche und Lernumgebungen für die digitale Bildung in der Elementarpädagogik». Diese Erfahrungsbereiche erweitern den oft ausschliesslich medienpädagogischen Fokus und thematisieren auch digitale Technologien. In der frühen digitalen Bildung sollen Kinder anfangen können, digitale Technologien zu entdecken, zu untersuchen und zu verstehen sowie zu überlegen, wie diese funktionieren. Die Kinder sollen nicht nur passiv digitale Medien nutzen, sondern sich als aktiv Handelnde verstehen können.
Zusammenfassend gesagt, geht es nicht um die Frage, ob die digitale Transformation ein Thema in der frühen Bildung sein soll, sondern lediglich, wie sie thematisiert wird. Das Lernen im Spiel ist für die Kompetenzen der Zukunft wegweisend.
Die neuen technologischen Möglichkeiten führen zu gesellschaftlichen Veränderungen, die neue Anforderungen an die Schule evozieren. Auf curricularer Ebene zeigt sich dies beispielsweise im aktuellen Lehrplan 21 mit dem neuen Fach Medien und Informatik. Die Schule muss den Kindern und Jugendlichen mitunter ein Verständnis der neuen Lebenswelt und der digitalen Technologien vermitteln und sie generell digital kompetent machen. Die digitale Transformation von Schule ist ein Entwicklungsprozess, welcher in eine komplexe und dynamische In- und Umwelt eingebettet ist und einer Vielzahl von Einfluss- und Gestaltungsfaktoren unterliegt. Schulentwicklung ist in ihrem Kern immer auch Unterrichtsentwicklung. Dabei gilt es die Potenziale der Digitalisierung für das Lernen zu erarbeiten und weiterzuentwickeln, damit sie zu einem festen Bestandteil der Schule werden können.
Im Rahmen des Schwerpunkts 1 (Volks- und Mittelschulen) der IT-Bildungsoffensive (ITBO) des Kantons St.Gallen wird die digitale Transformation als Schulentwicklungsprozess gesehen, wobei der Fokus auf den Leitinitiativen digitaleSchule, digitaleKompetenz und digitaleMedien liegt. Als konzeptionelle Grundlage dient ein ganzheitlicher und integrierter Referenzrahmen, auf welchem alle Teilprojekte des Schwerpunkts 1 basieren. Dieser vereint ein Bündel von Massnahmen, mit Breitenwirkung auf der Volks- und Mittelschulstufe, von dem alle Lehrpersonen und Schülerinnen und Schüler profitieren können.
Die ITBO ist eine Investition in die Zukunft und wird den Kanton St.Gallen zu einem führenden Standort mit überregionaler Ausstrahlung bei der digitalen Transformation von Schule und Bildung machen.
Digitale Transformation in der Berufsbildung
Die mit der Corona-Pandemie innert kurzer Zeit erfolgte Umstellung auf digitalen Fernunterricht hat Schulen, Lehrende und Lernende vor grosse Herausforderungen gestellt. Umso erstaunlicher ist es, wie gut die beteiligten Akteure die Situation gemeistert haben. Angesichts der vielerorts gelungenen Umstellung könnte man schlussfolgern, der digitale Unterricht habe seinen endgültigen Durchbruch in der Schulpraxis erlebt: «Der Geist ist aus der Flasche».
Was ist von dieser Meinung zu halten? Während der Corona-Pandemie bestand die Herausforderung primär darin, Ad-hoc-Lösungen zur digitalen Abbildung des herkömmlichen Präsenzunterrichts zu finden. Digitale Transformation geht jedoch weiter als die digitale Reproduktion oder Substitution von Bildungsprozessen und bedeutet, Lehren und Lernen sowie die Rollen von Lehrenden und Lernenden neu zu denken. Dies erfordert zum einen, Lehrveranstaltungen in Richtung von Blended Learning weiterzuentwickeln und klarer zwischen unterschiedlichen Lehr-Lern-Szenarien (zentral, dezentral, synchron, asynchron) und Rollen (z.B. Instruktion, Lernbegleitung, Lerncoaching) zu unterscheiden. Digitale Lernangebote sollten im Sinne einer Transformation zudem einen pädagogischen Mehrwert schaffen (z.B. Individualisierung, innovative Problembearbeitung, Erhöhung des Lernerfolgs).
Um die digitale Transformation in der Berufsbildung zu unterstützen, entwickelt und erprobt die PHSG im Auftrag des Amtes für Berufsbildung des Kantons St.Gallen an mehreren Berufsfachschulen Blended Learning-Umgebungen. Handlungsleitend sind unter anderem folgende Fragen:
- Welches Verständnis von Lehren und Lernen und welches Rollenverständnis von Lehrenden und Lernenden soll für den Unterricht an den St.Galler Berufsfachschulen handlungsleitend sein?
- Wie kann ein Modell zur Entwicklung von Blended Learning-Umgebungen für die St.Galler Berufsfachschulen aussehen?
- Wo liegen die Chancen und Risiken von Blended Learning, und worauf ist bei der Einführung von Blended Learning an den Schulen besonders zu achten?
2021 wurden die ersten Projekte gestartet. Die Projektlaufzeit dauert bis 2026. Erste Evaluationsergebnisse sind für Mitte 2022 zu erwarten.
Die pandemiebedingte Umstellung der Hochschullehre in den digitalen Raum diente zunächst primär dem Zweck, weiterhin Lerngelegenheiten für angehende Lehrpersonen anzubieten. Im nächsten Schritt werden diese Angebote sorgfältig geprüft und weiterentwickelt: Welche der digitalen Lehr-Lernarrangements fördern angehende Lehrpersonen besonders wirksam und wie kann die Kompetenzerreichung valide geprüft werden?
Die Lehr- und Lernprozesse fanden in den vergangenen zwei Jahren in zahlreichen Settings statt: Distance Teaching und Learning, Präsenz, Hybrid. Die Anforderungen an Studierende und Lehrende waren dabei hoch. Es dürfte davon ausgegangen werden, dass der «Kompetenzsprung» bei allen Beteiligten riesig war. Dies führt gleichwohl zur Frage, welche Kompetenzen bei angehenden Lehrpersonen auch in Zukunft gefördert werden sollen und welche Rolle dabei Facetten des digitalen Know-hows spielen werden. Einerseits sind (domänenspezifische) digitale Technologien und Werkzeuge selbst Inhalt der Hochschullehre. Andererseits müssen Studierende und Lehrpersonen mit diesen Technologien und Werkzeugen versiert umgehen können.
Noch wichtiger ist in dem Zusammenhang, für Studierende passende Prüfungsformate zu entwickeln, die Aufschluss über die erreichten Kompetenzen ermöglichen. An der PHSG wird künftig ein besonderer Schwerpunkt auf die Entwicklung digitaler Prüfungen gelegt. Das Projekt P-8 von swissuniversities unter der Leitung von Charlotte Nüesch und Martin Hoffmann zielt darauf, nicht nur fachliche Kompetenzen, sondern auch umfassende Handlungskompetenzen in verschiedenen Settings zu erfassen. Dabei steht auch die weitere Professionalisierung der Hochschullehrpersonen im Zentrum.
Digitale Transformation in Schule und Bildung
Man muss kein Prophet sein, um in die digitale Zukunft zu blicken. Es genügt, die heutigen Entwicklungen weiterzudenken. Digitale Technologien werden uns auch künftig immer komplexere Aufgaben abnehmen. Deshalb muss es in der Bildung der Zukunft um Wissen und Fähigkeiten gehen, die nicht einfach computerisiert werden können. Dazu gehören nicht nur vertiefte Anwender- und Programmierkenntnisse, sondern vor allem Kompetenzen in den Bereichen Kreativität, kritisches Denken, Problemlösen, selbstgesteuertes Lernen, Empathie und Kommunikation. Diese Kompetenzen sind weder neu noch spezifisch digital, doch sie erhalten im Zusammenhang mit digitalen Technologien eine neue Bedeutung und sie umfassen auch neue digitale Praktiken.
Ob dies alles in Schulen gefördert werden kann, entscheidet sich weniger in den Unterrichtsinhalten als vielmehr in den Unterrichtsformen. Schule muss hierfür den Weg fortsetzen, der in vielen Schulen schon eingeschlagen wurde: Weniger kleinschrittiger Frontalunterricht und mehr problembasiertes, projektorientiertes und selbstgesteuertes Lernen. Weniger Lernen im Klassenzimmer und mehr in der Werkstatt, im Labor und auf Exkursion. Weniger 45-Minuten-Lektionen und dafür grössere Lernsequenzen, bei denen Lehrpersonen unterschiedlicher Fächer zusammenarbeiten. So wird Schule zu einem Lern- und Erfahrungsraum, in dem Schülerinnen und Schüler Kompetenzen für eine Zukunft aufbauen, in der Menschen im Tandem mit Computern denken und trotzdem noch den Ton angeben.
Der digitale Wandel hat in den vergangenen 30 Jahren seine Spuren im dänischen Bildungssystem hinterlassen. Grosse Investitionen in die technologische Entwicklung haben zu einer digitalen Bereitschaft sowohl bei Fachleuten als auch bei Bürgerinnen und Bürgern geführt. In den letzten Jahren hat sich der Fokus von der Nutzung digitaler Technologien zum Verständnis digitaler Technologien hin verschoben. Mit anderen Worten: eine digitale Ermächtigung.
In Dänemark sollen Schülerinnen und Schüler sowie Studierende von der Grundschule bis zur Universität ein Technologieverständnis entwickeln. Sie müssen erkennen, wie sie beispielsweise von Robotertechnologien, Automatisierung, Programmierung, maschinellem Lernen, Computermodellierung und ethischen Aspekten des Online-Lebens betroffen sind. Sie sollen nicht nur lernen, digitale Technologien zu nutzen, sondern auch verstehen, wie sie funktionieren, welche Absichten ihnen zugrunde liegen und was für Folgen ihre Nutzung hat.
In weiten Teilen des politischen Systems besteht die Überzeugung, dass der Einsatz digitaler Technologien die Professionalität stärkt und befähigt. Dazu kommt, dass eine verstärkte Digitalisierung als Voraussetzung für die Schaffung von Arbeitsplätzen und die globale Wettbewerbsfähigkeit gesehen wird. Dies sind grundlegende Herausforderungen. Denn nur die wenigsten verstehen, was eine SQL-Datenbank ist und können Excel kaum richtig bedienen. Trotzdem jubeln alle, sobald jemand Big Data oder Learning Analytics erwähnt.
Daher ist in Dänemarks Schulen das Technologieverständnis sowohl eine grundlegende als auch eine allgemeine Fachlichkeit, so wie das Lesen, Schreiben und Rechnen. Gleichzeitig gibt es eine spezifische Fachlichkeit für jene wenigen, die sich auf Informatik konzentrieren.
Die Vision ist, dass jede und jeder Einzelne auf diese Weise befähigt wird, zur Frage Stellung zu beziehen: «Willst du programmieren oder programmiert werden?»